Cinema – Jugend ohne Gott (2017)

Jugend ohne Gott – eine Adaption des gleichnamigen Romans von Ödön von Horwath – handelt von einem Elite-Camp, bei dem es ums Aussieben geht, um die Trennung der Spreu vom Weizen. Der Weizen, das werden drei Personen sein, oder fünf, oder einfach mal gar niemand?
Die Kombattanten wissen es nicht. Umso härter kämpfen sie gegeneinander an. Begleitet werden sie von einem Führungsteam, hinter dessen Ausgebufftheit stets ein kaltes Lächeln wie ein Ausrufezeichen steht: Anna Maria Mühe als unangreifbare KZ- , nein Campaufseherin, an deren eingefroren blauen Eisaugen jede Frage abprallt.
Die Einstiegsszene wird drei Mal gezeigt, jedesmal aus der Perspektive eines anderen Protagonisten. Ein filmischer Trick, der mit dem Wagnis der Eintönigkeit spielt. Doch eintönig wird es ganz und gar nicht. Die Stück für Stück hinzugefügten Informationen vervollständigen das Bild, ohne vorerst die Lösung zu bieten. Es muss also weitergehen. Zum Beispiel mit Zachs gestohlenem Tagebuch. Wer hat es? Die Hauptverdächtige Nadesh, Zachs unsympathische Streber-Teamkollegin, liegt erschlagen im Wald, das Tagebuch wird jedoch nicht bei ihr gefunden.
Im dritten Durchgang erfahren wir: Der Lehrer war’s! Aus Zachs Bettversteck hat er das Tagebuch geklaut. Warum? Weil der Film in einer Zukunft spielt, in der Papier und Handschriftliches schon Geheimnis genug sind. Das lockt, und was der Lehrer zu lesen bekommt, verändert ihn, weil gelüftete Geheimnisse oder Tabus immer etwas verändern.
Lehrer und Schüler müssen das Camp verlassen. Der des Mordes verdächtigte Zach landet im Knast, der Lehrer in den unterirdischen Arme-Leute-Katakomben. Aus die Maus! Er gehört jetzt der Loser-Kaste an, aus der es kein Entkommen mehr gibt. Merkwürdigerweise trifft er dort einen weiteren Kollegen aus der Führungsriege des Camps. Es gibt sie also, die nicht mitmachen. Aber sie sind zu wenige. Insofern ist der Film eher dystopisch.
Und das ist die Stärke von Jugend ohne Gott. Die Gesellschaftsvision wirkt glaubhaft. Jeder ist für sich allein. Jeder strampelt sich allein auf seinem einsamen Eisberg ab. Jeder für sich eine Mini-Ich-AG. Der Allerstärkste ist der, der sich aller Emotionen entledigt hat, personifiziert in dem Schüler Titus: dem echten Mörder, denn Zach ist unschuldig, was der Zuschauer ja längst weiß. Titus, Kaisernamensträger, ist der Gewinner des Camps. Alles, wirklich alles hat er für den Sieg gegeben, einschließlich Moral und Restwerte. Nun winkt ihm das gute Leben. Im Gegensatz zum Loser-Lehrer.
Die stärkste Szene: Als die beiden sich begegnen, Loser-Lehrer und Mörder-Schüler. Der Lehrer weiß um den Mord. Und umarmt den Mörder. Denn der ist das eigentliche Opfer: Ein einsamer, kalter, entmenschlichter Sieger. Produkt nicht nur des Elitecamps, sondern einer leider gar nicht mehr so fern erscheinenden Zukunftsgesellschaft.