Bullet Train

 
Dass das ein entspannter Abend wird, zeichnet sich schon beim gemeinsamen Durchchecken der Trailer am heimischen Esstisch als die unwahrscheinlichste Option ab.
 
Ja, juble ich angesichts der gefühlt hundertsten Folge von Monsieur Claude, weil Vorhersehbarkeit einfach einfacher ist (und hat PM bei der zweiten Folge etwa nicht einmal kurz geschmunzelt?). Doch sein Gesichtsausdruck verheißt wenig Zustimmung.
 
Hier!, rufe ich also mit gleichbleibender Begeisterung aus: Gugelhupfgschwader! Garantiert das Gespann Bezzel/Schwarz/Potthoff doch erfahrungsgemäß ein wohliges Versöhntsein mit sich und der Welt, ein Zustand, der einem gerade mehr oder weniger abhanden gekommen ist – was willst du mehr von Kino erwarten? PMs Gesicht hellt sich auf. Na also, denke ich erleichtert und verlese nur aus Fairnessgründen auch noch die dritte Option: Bullet Train mit Brad Pitt.
 
Echt? Das läuft? PM springt auf. Daumen-hoch, vermeldet jetzt zögerlich auch mein Kopf, irgendwo irgendwas gehört, außerdem hat PM mir bei Sachen geholfen, die ich ohne ihn nicht geschafft hätte, die Entscheidung liegt bei ihm, bye bye Gugelhupfgschwader. Ich klicke den Trailer an, Brad Pitt übergibt einen Koffer, ein High-Speed-Zug, viele Kampfszenen, Waffen, irgendwie lustig – okay, die Entscheidung ist gefallen.
 
Wir sind die Einzigen. Kino 1, der größte Saal der Tübinger Vereinten Lichtspiele, liegt leer vor uns, als wir einziehen. Nach einer Weile kommen sechs Jugendliche und noch zwei Typen rein. Sie verteilen sich großzügig, die Popcorntüten kann man nur sehen, nicht hören. Ohne Werbung & Vorschau von anderen Filmen geht’s gleich los. Die Urszene: Ein japanisches Krankenhauszimmer, Vater am Bett seines verletzten Sohnes, klar, wenn du das jetzt nicht kapierst, kapierst du den ganzen Film nicht.
 
Schnitt. Ein Zug. Brad Pitt, der Ladybug heißt, steigt ein. Der japanische Vater ist auch in diesem Zug. Dann kommen noch viele andere, die es alle aufeinander abgesehen haben und alle auf Ladybug. Ganz oben steht der böse Russe, der Weiße Tod, der natürlich nicht im Zug ist, aber man erfährt durch die anderen schon alles über seine legendäre Grausamkeit. Am Ende, als der Zug in den Bahnhof von Kioto einfährt – der Film ist eine Art Kammerspiel – steht er leibhaftig am Bahnsteig und sieht wirklich so wild und böse aus, wie wir die Russen kennen. Die letzten Sekunden lebt er noch qualvoll lange, wie er’s verdient hat, mit einem Dolch im Rücken, der auf der anderen Seite wieder rauskommt. Das Blut spritzt schon seit zwei Stunden ohne Ende, ohne Ende fliegen Körperteile durch die Gegend, ein Totgeglaubter steht doch wieder auf, der andere bleibt mausetot, Ladybug natürlich nicht, und nachdem er den Weißen Tod ein für allemal erledigt hat, trifft er jetzt endlich die sexy Frauenstimme, die ihm die ganze Zeit Befehle ins Ohr gesäuselt hat, und das ist Sandra Bullock.
 
Ach, Sandra Bullock, sage ich zu PM. Hmhm, sagt PM. Wir gehen raus, PM redet ohne Punkt und Komma vor lauter Begeisterung über die vielen Zitate, Anklänge aus der gesamten Filmhistorie, die sich hier vereint und neu aufbereitet in einem Teig aus Blut und Menschenfleisch wiederfinden. Ich bin eher mal stumm, wenn ich nicht aufpasse, bohren sich die Bilder in mein Gehirn, ich merke, wie ich sauer werde, der Gehweg ist mir zu schmal, ich möchte allein sein und die Bilder wieder auskotzen. Was ist denn mit dir?, fragt PM: Der war doch lustig, der Film.
 
Yes, Tarantino-lustig. Ich bin aggressiv, sage ich: Lustige Gewalt macht mich offenbar aggressiv! Einmal mehr fällt mir ein, dass ich SCHON IMMER für ein geschlechterspezifisches Kino plädiert habe: man läuft gemeinsam ein, der eine ab in die Männerabteilung, die andere in den Fraueneingang, um anschließend beim Lieblingsitaliener wieder zusammenzutreffen und sich zu erzählen von Bullet Train und Gugelhupfgschwader, und jede/jeder ist froh, dass sie/er den anderen Film nicht gucken musste.
 
Ich hab jetzt zwei Frauenfilme gut, sage ich. Na klar, sagt PM.