Freitag. Die Haustür steht offen: Ein schweres Holztor mit Eisenbeschlägen. Ich steige die steilen Stiegen hinauf, erster, zweiter oder doch dritter Stock?
Die letzte Stiege gleicht eher einer Leiter. Kein Hinweisschild. Ich rufe sie an: Wir haben einen Termin zur Maniküre ausgemacht.
Ich öffne Ihnen, sagt sie. Doch dritter Stock, es ist die Tür direkt vor meiner Nase. Im nächsten Moment stehe ich in einer verschachtelten, kleinen Wohnung mit Treppen und Halbtreppen und winzigen Fluren auf verschiedenen Ebenen.
Das Haus ist aus dem 15. Jahrhundert, sagt sie. Durch das DIN A4-kleine Fenster einer Mansarde leuchtet die Sonne, aus dem Internetradio dringt sanfte Musik, die mich auf einen Schlag entspannt, ohne dass ich mir sagen muss, jetzt entspann dich mal.
Während sie meine Nägel schön macht, erzählt sie aus ihrem Leben und ich aus meinem, und sie erzählt mir von ihrem Mann, der nach Rumänien zurückgereist sei. Er sei nämlich von Tübingen enttäuscht.
Er findet keine Freunde, sagt sie, und ich sage, das kenne ich, das kennt jeder Nichtschwabe, der in Tübingen oder jeder anderen schwäbischen Kleinstadt aufschlägt: Mach den Mund auf, und sie drehen sich weg. Neigschmeckte interessieren sie nicht. Das sagen sie so nicht, weil sie die direkte Ansage meiden wie der Teufel das Weihwasser. Sie zeigen es. Ohne Worte, der schwäbischen Mentalität entspricht es, wortlos auszuteilen.
Dann kommen Sie mich doch mal besuchen! Sagt sie, die Schwäbin.
Die letzte Stiege gleicht eher einer Leiter. Kein Hinweisschild. Ich rufe sie an: Wir haben einen Termin zur Maniküre ausgemacht.
Ich öffne Ihnen, sagt sie. Doch dritter Stock, es ist die Tür direkt vor meiner Nase. Im nächsten Moment stehe ich in einer verschachtelten, kleinen Wohnung mit Treppen und Halbtreppen und winzigen Fluren auf verschiedenen Ebenen.
Das Haus ist aus dem 15. Jahrhundert, sagt sie. Durch das DIN A4-kleine Fenster einer Mansarde leuchtet die Sonne, aus dem Internetradio dringt sanfte Musik, die mich auf einen Schlag entspannt, ohne dass ich mir sagen muss, jetzt entspann dich mal.
Während sie meine Nägel schön macht, erzählt sie aus ihrem Leben und ich aus meinem, und sie erzählt mir von ihrem Mann, der nach Rumänien zurückgereist sei. Er sei nämlich von Tübingen enttäuscht.
Er findet keine Freunde, sagt sie, und ich sage, das kenne ich, das kennt jeder Nichtschwabe, der in Tübingen oder jeder anderen schwäbischen Kleinstadt aufschlägt: Mach den Mund auf, und sie drehen sich weg. Neigschmeckte interessieren sie nicht. Das sagen sie so nicht, weil sie die direkte Ansage meiden wie der Teufel das Weihwasser. Sie zeigen es. Ohne Worte, der schwäbischen Mentalität entspricht es, wortlos auszuteilen.
Dann kommen Sie mich doch mal besuchen! Sagt sie, die Schwäbin.
Wie bitte? Das sagt sonst niemand, niemand lässt niemanden ohne zwingenden Anlass in sein Haus, schon gar nicht Fremde. Fremd ist jeder, der nicht seit der 5. Generation hier lebt. Das Erste, was Einheimische dich fragen: Woher kommsch? Alles, was nördlich des Mains liegt, gilt ihnen als Norddeutschland, quasi als Ausland. Ah, a Norddeutsche!, habe ich Dutzende Male zu hören bekommen und mich ebenso oft gewundert: Kamen, zwischen Dortmund und Hamm im östlichen Teil des Ruhrgebietes gelegen, ist definitiv nicht Norddeutschland, aber Richtigstellung ist so unnötig wie unerwünscht. Nicht von hier, mehr muss der/die Einheimische nicht wissen. (Mit Ostdeutschland verhält es noch schlimmer: ein blinder Fleck auf der Landkarte, der in totaler Unkenntnis gern Dunkeldeutschland tituliert wird).
Zum Abschied schenkt die freundliche Frau mir ein Buch. Genauer: Von vier Büchern darf ich mir eins aussuchen. Ihr Mann ist nämlich ein Autor, und diese Bücher hat er alle geschrieben. Da staune ich nicht schlecht, und noch viel mehr staune ich, als ich später, auf der Zugfahrt nach Eisenach, anfange zu lesen. Robert Scheer hat das Wunderwerk geschrieben: Der Duft des Sussita, das mich jetzt nicht mehr loslässt.
Zugausfall, später unplanmäßiger Zugwechsel – mir ist alles egal. Ich habe ein wundervolles Buch und tauche ein in die Welt eines ca. 45-jährigen, in Rumänen und Israel aufgewachsenen, zeitweise in Tübingen lebenden jüdischen Ungarn, der so sanftmütig und lustig über Israel und seine Nachbarländer schreibt wie kein zweiter. Wie einer, der von allen Teilen der Welt ein Stückchen in sich trägt und friedlich in sich vereint.
Wie kann es sein, dass ich noch nie von ihm gehört habe? Dem Nagelstudio in dem Haus aus dem 15. Jahrhundert sei Dank, die Wege des Herrn sind unergründlich.
Zum Abschied schenkt die freundliche Frau mir ein Buch. Genauer: Von vier Büchern darf ich mir eins aussuchen. Ihr Mann ist nämlich ein Autor, und diese Bücher hat er alle geschrieben. Da staune ich nicht schlecht, und noch viel mehr staune ich, als ich später, auf der Zugfahrt nach Eisenach, anfange zu lesen. Robert Scheer hat das Wunderwerk geschrieben: Der Duft des Sussita, das mich jetzt nicht mehr loslässt.
Zugausfall, später unplanmäßiger Zugwechsel – mir ist alles egal. Ich habe ein wundervolles Buch und tauche ein in die Welt eines ca. 45-jährigen, in Rumänen und Israel aufgewachsenen, zeitweise in Tübingen lebenden jüdischen Ungarn, der so sanftmütig und lustig über Israel und seine Nachbarländer schreibt wie kein zweiter. Wie einer, der von allen Teilen der Welt ein Stückchen in sich trägt und friedlich in sich vereint.
Wie kann es sein, dass ich noch nie von ihm gehört habe? Dem Nagelstudio in dem Haus aus dem 15. Jahrhundert sei Dank, die Wege des Herrn sind unergründlich.